Der internationale Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2016.
Auch das Jahr 2016 begann mit einem vielfältigen Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. An vielen Orten im Land erinnerte man an sie und hob vor dem Hintergrund dieser furchtbaren Geschichte unsere Verantwortung für eine tolerante, friedliche und menschenfreundliche Gegenwart und Zukunft hervor. Der Landtag und die Landeshauptstadt Mainz dokumentierten dieses breite gesellschaftliche Bündnis wieder in seinem Programmheft zu den Veranstaltungen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2016.
Die Broschüre enthielt wieder viele Ausstellungen und Veranstaltungen, die aus Anlass des Gedenktages im Januar und Februar in Mainz und in den Gedenkstätten des Landes in Osthofen und Hinzert an das Schicksal der Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Hinzu kommt eine Auswahl weiter Veranstaltungen im Lande. Viele Veranstaltungen rückten das Schicksal der NS-„Euthanasie“-Opfer des Gedenkens. Dieser reichsweit ca. 200.000 dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer gefallenen kranken, behinderten, sozial nicht angepassten Menschen wurde damit auch im Land die Anerkennung zuteil, um die sie und Ihre Opferverbände Jahrzehnte lang vergeblich gekämpft haben.
Das Programmheft zum 27. Januar 2016 des Landtags Rheinland-Pfalz HIER als PDF-Datei herunterladen
Die Veranstaltungen unseres Fördervereins finden Sie im Programmheft auf den Seiten 25 und 26.
Der Gedenktag für die NS-Opfer in Koblenz
Die Veranstaltungen zum diesjährigen internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2016 in Koblenz erinnerten an die Opfergruppe der Zwangssterilisierten und NS-„Euthanasie“-Opfer. Damit griff unser Förderverein nicht nur das Thema auf, unter das der Landtag Rheinland-Pfalz seine diesjährigen Veranstaltungen stellte. Vielmehr erinnerte er auch an den Beginn der Krankenmorde in der Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg vor nunmehr 75 Jahren. In der Zeit von Januar bis August 1941 wurden dort im Rahmen der sog. T4-Aktion mehr als 10.000 Menschen mit Giftgas ermordet, weil sie in die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ nicht passten, weil sie körperlichen Gebrechen hatten oder psychisch krank oder im Sinne der Nazis sozial nicht angepasst waren. Das war die Vorgeschichte von Auschwitz, an dessen Befreiung am 27. Januar 1945 der Gedenktag erinnert.
Lesen Sie HIER den Vorbericht in Blick aktuell - Ausgabe Koblenz – Nr. 2/2016 vom 14. Januar 2016.
Die Ausstellung in Koblenz
Diese Vorgeschichte von Auschwitz ereignete sich nicht irgendwo, sondern hier bei uns. Das zeigte die Ausstellung „‘Vergiss mich nicht und komm...' Zum Gedenken an die Opfer der Zwangssterilisationen und NS-Krankenmorde 1934 - 1945", die in der Citykirche in Koblenz am 13. Januar 2016 eröffnet wurde. Kern der Präsentation war eine Wanderausstellung der Stiftung Scheuern. Die damalige Heil- und Pflegeanstalt Scheuern bei Nassau an der Lahn war eine sog. Zwischenanstalt auf dem Weg in den Tod. Dort wurden Menschen mit Behinderungen aus der Umgebung gesammelt, dann mit „grauen“ Bussen nach Hadamar verschleppt und noch am selben Tag ermordet. Die Ausstellung dokumentiert diese Krankenmorde an Patienten aus Scheuern und auch deren Vor- und Nachgeschichte. Dazu gehört die von den Nationalsozialisten schon sehr früh erzwungene Sterilisation psychisch kranker Menschen und die Fortsetzung der Krankenmorde ab August 1942 mit Überdosen von Medikamenten und verhungern lassen. Sie zeigt aber auch das Aufbegehren der Opfer, von denen manche ihre Angehörigen flehentlich baten: „Vergiss mich nicht und komm…“
In einer Pressemitteilung der Stiftung Scheuern heißt es dazu:
„Vergiss mich nicht und komm...“ – Ausstellung zum Gedenken an die Opfer der Zwangssterilisationen und NS-Krankenmorde in Koblenz und Umgebung 1934 - 1945
Die Stiftung Scheuern aus Nassau zeigt in Zusammenarbeit mit dem Verein Mahnmal Koblenz e.V. ihre Dokumentation vom 13.01. bis zum 03.02.2016 in der Citykirche Koblenz zum Gedenken an die Opfer nationalsozialistischer Gewalttaten. Sie setzt damit ein Zeichen gegen das Vergessen, erinnert an das dunkelste Kapitel ihrer 166-jährigen Geschichte, denn nur wer die eigene Geschichte kennt, kann die Zukunft gestalten
Foto: Scheuern in den 1920ern
Vergiss mich nicht und komm...“ waren die verzweifelten Worte des ermordeten Karl L. in seinem Brief an seine Schwester. Karl L. gelangte mit einem Sammeltransport im April 1941 nach Scheuern und wurde am 16. Mai 1941 nach Hadamar transportiert. Seine Zeilen wurden nie abgeschickt, erinnern aber an das unsagbare Verbrechen, der Vernichtung des sogenannten unwerten Lebens, den brutalen Mord an Menschen mit Behinderung und an eine Zeit in der Einrichtungen der Behindertenhilfe von den Nazis als Zwischenanstalten missbraucht wurden. Unter ihnen war auch die heutige Stiftung Scheuern in Nassau. Fast 1.500 Menschen aus der Zwischenanstalt Scheuern wurden unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in Hadamar umgebracht. Viele der getöteten Menschen spürten sehr genau, was sie erwartete. Das belegen nicht nur die Briefe, die sie wie damals Karl L. hinterließen.
Auch dem Koblenzer Alois G. wurde das Lebensrecht abgesprochen. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in seinem Elternhaus in der Salierstraße. Von da aus kam er nach Scheuern und lebte in der Zwischenanstalt ein knappes Jahr.
Im Alter von 17 Jahren wurde er in Hadamar am 1. Juli 1941 vergast.
In der Ausstellung wird an die vom NS-Regime getöteten Bürger der Stadt Koblenz und an die ehemaligen Bewohner der Stiftung Scheuern gedacht.
So beleuchtet die Ausstellung auch das Schicksal von Katharina H. Sie fiel ebenfalls der Aktion T4 zum Opfer und lebte seit 1911 in der damaligen Anstalt Scheuern. Zwei Tage, am 30.03.1941 vor ihrem Weg in den Tod, schrieb sie an ihre Familie „...muss nur weinen und nichts weiter als weinen...“ und „...behüt mich Gott, dass ich auch noch einmal frohe Stunden erleben dürfe...“.
Ab 1941 wurden Urteile über den Wert menschlichen Lebens gefällt und Scheuern zum Handlanger der Urteilsvollstreckung gemacht. Die Stiftung Scheuern ruft in Erinnerung an die eigene Geschichte zur Wachsamkeit auf und mahnt, dass es niemals mehr ein solch grauenhaftes Zusammenspiel von politischer Ideologie und einer gesund und rein zu haltenden Rasse geben darf. Niemals mehr dürfen Menschen in einer Gesellschaft als „Ballastexistenzen“ unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt für einen Staat eingestuft werden. Diese furchtbaren Gräueltaten dürfen sich nie mehr wiederholen und darum ist die Stiftung Scheuern gegen das Vergessen. Sie setzt sich in der Gegenwart dafür einsetzen, Leben zu schützen, wo immer Leben geschützt werden will.“
Foto Scheuern heute. Mehr unter: www.stiftung-scheuern.de
Ergänzt wurde die Ausstellung der Stiftung Scheuern durch einen regionalen Teil, den unser Förderverein eigens aus diesem Anlass erarbeitet hatte. Darin dokumentiert er das Schicksal von 14 Menschen. Das sind Männer, Frauen und Kinder, Deutsche und Nichtdeutsche aus Koblenz und Umgebung, die zwangsweise sterilisiert und/oder ermordet wurden – allein deshalb, weil sie anders waren als die Menschen, die die Nazis „züchten“ wollten.
Die Ausstellung wurde am Mittwoch, dem 13. Januar 2016 in der Citykirche in Koblenz eröffnet vom Vorsitzenden unseres Fördervereins Dr. Jürgen Schumacher und Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern. Der Kurator des regionalen Teils der Ausstellung Joachim Hennig gab eine Einführung.
Lesen Sie nachfolgend die Einführung in die Ausstellung „Vergiss mich nicht und komm...“
Zum Gedenken an die Opfer der Zwangssterilisationen und NS-Krankenmorde in Koblenz und Umgebung 1934 – 1945, die unser stellvertretender Vorsitzender Joachim Hennig gegeben hat:
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie sehr herzlich und möchte Sie einführen in die Ausstellung:
„Vergiss mich nicht und komm...’ – Zum Gedenken an die Opfer der Zwangssterilisationen und NS-Krankenmorde in Koblenz und Umgebung 1934 – 1945“.
In zwei Wochen, am 27. Januar, jährt sich zum 71. Mal die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Speziell an diesem Tag gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus. Was damals während des Nationalsozialismus in den Konzentrationslagern von Auschwitz und anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern geschah, wissen wir alle in groben Zügen. Es waren Verbrechen der Nazis und ihrer vielen, viel zu vielen Helfern - vor allem „im Osten“, im damals so genannten Generalgouvernement, im heutigen Osten der Republik Polen. Das war und ist für uns Heutige weit weg.
Die Verbrechen der Nazis waren uns aber näher als wir oft denken, näher als dem einen oder anderen lieb ist. Auschwitz und die anderen Vernichtungslager im Osten hatten eine Vorgeschichte. Und diese Vorgeschichte fand nicht irgendwo statt, sondern ganz nah, hier bei uns.
Auf den heutigen Tag vor 75 Jahren begann die Landesheilanstalt Hadamar bei Limburg an der Lahn mit der Ermordung von Patienten durch Giftgas. Die Tötungen liefen nach einem gleich bleibenden Schema ab. Mit maximal drei grauen Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“ (GEKRAT) wurden die Patienten aus anderen Heil- und Pflegeanstalten abgeholt. In Hadamar fuhren sie in eine hölzerne Busgarage, die man eigens für diesen Zweck im Innenhof der Anstalt errichtet hatte. Dann wurden die Tore geschlossen und die Patienten durften die Busse verlassen. Durch einen Schleusengang gelangten sie in das Hauptgebäude. Dort täuschte man einen normalen Anstaltsbetrieb vor. Im Bettensaal mussten sie sich ausziehen und warten. Ihre Identität wurde geprüft und anhand der mitgeschickten Krankenakte suchte der Anstaltsarzt eine fingierte Todesursache für sie aus. „Interessante“ Patienten – mit Goldzähnen oder einem ungewöhnlichen Krankheitsbild – wurden markiert. Dann machte man drei Fotos von ihnen und führte sie in den Keller. Dort nahmen sie so genannte Brenner in Empfang und führten die Patienten eines Busses – das waren etwa 30 Personen - in einen als Dusche getarnten Raum. Die Duschköpfe dort waren aber nur Attrappe. Tatsächlich strömte aus den Öffnungen an der Decke Kohlenmonoxydgas in den Raum ein; das hatte ein Arzt nach Schließen der Eingangstür freigegeben. Nach dem oft sehr qualvollen Tod zerrten die „Brenner“ die Leichen aus der Gaskammer, brachen den markierten Toten die Goldzähne heraus und entnahmen den „wissenschaftlich interessanten Fällen“ ihre Gehirne. Sodann schleppte man sie zu den beiden Krematoriumsöfen und verbrannte die Leichen. Im Regelfall verging kein ganzer Tag zwischen der Ankunft der Patienten in Hadamar und deren Ermordung und anschließenden Verbrennung der Leichen.
Die Krankenmorde, die außer in Hadamar noch in fünf anderen Tötungsanstalten stattfanden und denen bis zum 23. August 1941 in Hadamar mehr als 10.000 und insgesamt mehr als 70.000 Menschen zum Opfer fielen, waren sogar nach dem Selbstverständnis der Nationalsozialisten nicht legal. Sie wurden getarnt und es wurde versucht, sie geheim zu halten. Dazu bediente man sich mehrerer Organisationen wie der erwähnten „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“ und der Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin – daher auch die Bezeichnung „T4-Aktion“. Zur Verschleierung gehörten auch die Benachrichtigungen der Angehörigen über den angeblich „unerwarteten plötzlichen Heimgang“. Diese „Trostbriefe“ waren insgesamt gelogen, nicht einmal das Todesdatum stimmte, auch nicht die Todesursache und oft nicht einmal der Sterbeort.
Zur Verschleierung der T4-Aktion gehörte die Einbindung so genannter Zwischenanstalten in die Krankenmorde. Solche Anstalten im heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz gab in Andernach und in Scheuern bei Nassau an der Lahn. Diese Einrichtungen, die es ja noch heute gibt, waren vor der NS-Zeit als Heil- und Pflegeanstalten gegründet und dann jahrelang auch so betrieben worden. Im Rahmen der T4-Aktion erhielten sie eine weitere, neue Aufgabe: Sie waren „Sammelstelle“ für die zur Ermordung vorgesehenen Patienten. Zunächst wurden die ausgesuchten Patienten der beiden Anstalten (sog. Ursprungskranke) mit den grauen Bussen nach Hadamar transportiert und dort umgebracht. Die dadurch entstehenden leeren Plätze füllte man mit Patienten aus anderen Anstalten wieder auf. Das waren die sog. Zwischenpatienten. Diese „neuen“ Kranken kamen dann auch nach Hadamar und ins Giftgas. Durch die Beteiligung der Zwischenanstalten Andernach und Scheuern wurde zum einen die Verlegung der Patienten von der bisherigen Heil- und Pflegeanstalt in die Tötungsanstalt verschleiert. Zum anderen wurde der Transport in die Tötungsanstalt organisiert – so dass gewährleistet war, dass die in Hadamar ankommenden Patienten auch tatsächlich am selben Tag dort umgebracht werden konnten.
Mithin hatten die Zwischenanstalten eine wichtige Funktion bei der Ermordung der Patienten im Rahmen der T4-Aktion. Deshalb präsentiert der Förderverein Mahnmal Koblenz in Kooperation mit der Stiftung Scheuern deren Ausstellung über die Krankenmorde: „Vergiss mich nicht und komm….“ Dabei weist die Anstalt Scheuern noch eine Besonderheit auf: Sie ist die einzige Zwischenanstalt in Trägerschaft der evangelischen Kirche, ja überhaupt in der Trägerschaft einer Kirche. Alle anderen Zwischenanstalten, wie auch Andernach, waren staatliche Einrichtungen.
Die Ausstellung „Vergiss mich nicht und komm….“ beschränkt sich nicht auf die Darstellung der Morde in der T4-Aktion. Sie dokumentiert auch die Vorgeschichte und auch die Nachgeschichte der T4-Aktion. Sie zeigt auf, dass die Ermordung kranker und behinderter Menschen keine „Erfindung“ der Nazis war, sondern dass Wissenschaftler und Praktiker schon in den 1920er Jahren die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, die „Ausmerze“ von „Ballastexistenzen“ befürwortet hatten.
Die Nazis griffen diese Vorstellungen auf und setzten sie in der ihnen eigenen Art – viel konsequenter, radikaler und brutaler um, als macht man das vorher auch nur erwogen hatte. Das passte sehr gut in ihr Weltbild von den verschiedenen Rassen, der „arischen Rasse“, den „Herrenmenschen“ einerseits und den fremden und minderwertigen Rassen andererseits. Das war – zynisch gesprochen – die Ergänzung zum Rassismus. Da war zum einen der Rassismus, der die Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung fremder „Rassen“ forderte und umsetzte: der Rassismus „nach außen“ – gegenüber den Juden, den sog. Zigeunern u.a. Diesen Rassismus ergänzten dann die Nazis durch den Rassismus „nach innen“. Damit sollte die „arische Rasse“ „veredelt“, „aufgenordet“ werden. Es war „Hygiene der eigenen Rasse“, „Ausmerze“ alles psychisch Kranken, Behinderten, sozial nicht Angepassten – „Rassenhygiene“.
Ein Markstein auf dem Weg zu den Krankenmorden durch Giftgas, gleichsam ihre Vorgeschichte, waren die Zwangssterilisationen von psychisch Kranken durch das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ - schon bald nach der Machtübernahme der Nazis erlassen, nämlich am 14. Juli 1933. Heute geht man von ca. 350.000 zwangsweise Sterilisierten aus. Zur Nachgeschichte der T4-Aktion, die ebenfalls in der Ausstellung der Stiftung Scheuern dokumentiert wird, gehört, dass mit dem 23. August 1941 die Krankenmorde mit Giftgas offiziell zwar eingestellt wurden, aber ein Jahr später die Morde fortgesetzt wurden. Das geschah nicht mehr durch Giftgas und nicht mehr zentral von der Tiergartenstraße 4 in Berlin aus, sondern dezentral u.a. in Hadamar und mit Überdosen von Medikamenten, verhungern lassen u.ä. Diese dezentralen Krankenmorde hörten erst mit der Befreiung im März 1945 auf. Man schätzt ihre Zahl insgesamt auf ca. 300.000.
Es sind also drei Personengruppen bzw. drei Situationen, in denen psychisch Kranke und sozial nicht angepasste Menschen zu NS-Opfern der Juristen und Mediziner wurden: erstens sind es die aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangsweise Sterilisierten, zweitens die im Rahmen der T4-Aktion mit Giftgas ermordeten Kranken und drittens die im Rahmen der dezentralen Aktion getöteten Kranken und sozial nicht Angepassten.
Ansatzweise erfahrbar werden diese Verbrechen und das Leiden, die Erniedrigung und der Tod dieser Menschen am Beispiel von Biografien der Opfer, gerade auch solcher Opfer, die in unserer Nähe gelebt haben. Deshalb zeigt der Förderverein Mahnmal Koblenz zu dieser Ausstellung der Stiftung Scheuern einen regionalen Teil – mit selbst erarbeiteten Biografien von Opfern aus Koblenz und Umgebung.
Präsentiert werden insgesamt 14 Schicksale:
I. Das sind zunächst vier Biografien von zwangsweise Sterilisierten:
1. von Magdalena M., einer jungen Frau aus Koblenz-Metternich. Sie hatte sich von Anfang an gegen ihre Zwangssterilisation gewehrt. Sie fand aber kein Gehör, nicht bei den Ärzten, nicht beim Erbgesundheitsgericht Koblenz und auch nicht beim Erbgesundheitsobergericht in Köln. Sie wurde im städtischen Krankenhaus Kemperhof unfruchtbar gemacht.
2. von Maria K., einer jungen Frau aus dem Kreis Ahrweiler. Sie hatte zunächst noch Glück, als ihr Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht Koblenz zur Lebensbewährung ausgesetzt wurde. Als sie einer Pflichtarbeit dann aber nicht weiter nachkam, beschloss das Erbgesundheitsgericht Koblenz ihre Unfruchtbarmachung. Wegen ihrer Schwangerschaft konnte sie aber nicht gleich sterilisiert werden. Sie kam zunächst ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, dort wurde die Leibesfrucht abgetrieben. Anschließend brachte man sie aus dem KZ nach Koblenz zur Zwangssterilisation und dann zurück ins KZ Ravensbrück.
3. von Heinrich R., einem Mann aus Koblenz, der dunkelhäutig geboren wurde. Als ihm deswegen die Eheschließung mit seiner „arischen“ Braut versagt wurde, entschloss er sich zu seiner Sterilisation. Auch danach wurde ihm die Heirat verboten. Er bemühte sich immer wieder um die Eheschließung, sie wurde ihm aber als „Negermischling“ bis zuletzt nicht erlaubt.
4. von C.M.B, einem 15-jährigen Mädchen, das nach dem I. Weltkrieg aus der Verbindung einer deutschen Frau mit einem farbigen amerikanischen Besatzungssoldaten hervorgegangen war. Seine Mutter wurde solange bedrängt, bis sie in die Sterilisation der Tochter einwilligte und diese dann unfruchtbar gemacht wurde.
II. Des Weiteren dokumentiert der regionale Teil der Ausstellung das Schicksal dreier Menschen, die den Giftgasmorden der T 4-Aktion zum Opfer fielen. Es sind dies zwei Jungen und ein junger Mann, die in Hadamar ermordet wurden:
1. der 17-jährige Alois Gaß. Er wuchs bei seinen Eltern in Koblenz auf, kam dann aber schon vor der T4-Aktion in die Anstalt Scheuern. Von dort wurde er in die Tötungsanstalt Hadamar transportiert und ermordet.
2. Gerhard (Gerd) W. aus Bendorf. Wegen der bei ihm festgestellten Schizophrenie wurde er – trotz seiner massiven Gegenwehr – zwangsweise sterilisiert. Auch danach ließ man ihn in der Anstalt Andernach nicht in Ruhe, sondern meldete ihn für die T4-Aktion. Daraufhin wurde er in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht und mit Giftgas ermordet.
3. Edmund Zimmer. Auch er war ein junger Mann aus Koblenz. Erst war er in einer Bonner Anstalt und kam dann als „Zwischenpatient“ nach Andernach. Seine Angehörigen, die sich sehr für ihn engagierten, konnten nicht verhindern, dass er einen Monat später nach Hadamar verschleppt und mit Giftgas ermordet wurde.
III. Schließlich zeigen wir aus der dezentralen Phase der NS-„Euthanasie“ sieben Schicksale, und zwar:
1. Elisabeth M., eine junge Frau aus Mülheim-Kärlich. Sie fiel den behandelnden Ärzten wegen ihrer psychischen Probleme auf. Daraufhin verfügte das Erbgesundheitsgericht Koblenz ihre zwangsweise Sterilisation wegen Schizophrenie. Sie lebte einige Jahre unauffällig. Nach dem Tod ihres Bruders als Soldat an der Ostfront erhielt sie einen neuen Schub, kam wieder in die Anstalt Andernach, von dort nach Hadamar. Innerhalb weniger Tage war sie tot.
2. Felix K. Er kam als Sohn eines Ingenieurs in Koblenz zur Welt. Als Soldat im I. Weltkrieg oder bald danach erkrankte an Schizophrenie. Immer wieder wurde er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen, als gebessert entlassen und wieder eingewiesen. Im Juli 1941 wurde er in die Anstalt Scheuern verlegt. Ein halbes Jahr später transportierte man ihn nach Hadamar. Am Tag seiner Ankunft dort wird er umgebracht. Angeblich starb er an Grippe.
3. Selma Grünewald. Sie war eine jüdische Frau mittleren Alters aus Kobern-Gondorf. Ihre Familie und sie persönlich standen jahrelang unter Beobachtung der Ortspolizei. Zuletzt wollte man ihr einen Umgang mit „arischen“ Männern anhängen. Das mag der Grund gewesen sein, dass ins Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt wurde. Dort kam sie in die „Sonderaktion“ in den Konzentrationslagern, die man die Aktion „14f13“ nennt. Als Jüdin wurde sie höchstwahrscheinlich selektiert, in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale verschleppt und dort mit Giftgas ermordet.
4. Der in Koblenz geborene Karl Heinrich Spiegel hatte eine doppelte Behinderung. Er litt unter epileptischen Anfällen und unter Knochenerweichung. Schon 1934 wurde er aufgrund eines Beschlusses des Erbgesundheitsgerichts zwangsweise sterilisiert. Einige Jahre später erlitt er erneut zwei epileptische Anfälle. Beide Male wurde er in Hadamar aufgenommen. Nach dem ersten Aufenthalt erreichte sein Bruder seine baldige Entlassung. Der zweite Aufenthalt währte nur drei Wochen. Dann wurde er ermordet.
5. Willy und Horst Strauß aus Bad Ems waren Kinder eines Juden und einer Nicht-Jüdin. Weil ihr Vater im Konzentrationslager war und die Mutter für den Unterhalt der Familie sorgen musste und ihnen viel Freiraum ließ, kamen beide in Fürsorgeerziehung. Aufgrund einer „Sonderaktion“ brachte man sie als „jüdische Mischlinge“ nach Hadamar. Drei Monate später starben sie - innerhalb von zwei Tagen.
6. und 7. Um zu zeigen, dass diesen Morden auch Menschen anderer Staatsangehörigkeit zum Opfer fielen, dokumentieren wir schließlich das Schicksal zweier Zwangsarbeiter: das des litauischen Zwangsarbeiters Josef J. und das der ukrainischen Zwangsarbeiterin Anna K. Beide wurden aus ihrer Heimat zur Zwangsarbeit verschleppt. Josef J. musste in den Tunnelanlagen von Dernau/Marienthal an der Ahr für Rüstungsbetriebe arbeiten, Anna K. bei einer Drahtzieherei in Bad Hönningen. An ihren Arbeitsplätzen fielen sie wegen Arbeitsunlust auf. Wenn man sich mit ihnen auch nicht verständigen konnte, so nahm man bei ihnen aufgrund ihres Verhaltens eine Geisteskrankheit an. Ihr Schicksal war dann schnell besiegelt: Sie wurden in die Anstalt Andernach eingewiesen. Als sich keine Besserung ergab, wurden sie nach Hadamar „verlegt“. Wenige Tage später waren sie tot – angeblich gestorben an Grippe bzw. Herzschwäche – tatsächlich aber höchstwahrscheinlich mit einer Überdosis Medikamenten ermordet.
All dieser Menschen wollen wir jetzt und beim internationalen Gedenktag am 27. Januar stellvertretend für die viele Millionen Menschen gedenken, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Wir wollen den Stummen eine Stimme geben, wie es im Alten Testament heißt: „Tue deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind!“ (Sprüche Salomon, Kap. 31, Vers 8).
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Lesen Sie den Bericht der Stiftung Scheuern, den die Stiftung zur Ausstellungseröffnung veröffentlichte:
Erinnerung an das Unvorstellbare
Vergangenheitsbewältigung: Stiftung Scheuern und Verein Mahnmal Koblenz zeigen in der Koblenzer Citykirche sehenswerte Ausstellung über NS-Euthanasiemorde und Zwangssterilisationen
Nicht mehr als 20 Stellwände – doch zwischen diesen Stellwänden lässt sich unvorstellbares Leid erahnen: Die vor wenigen Tagen in der Koblenzer Citykirche eröffnete Ausstellung „Vergiss mich nicht und komm… Zwangssterilisationen und Krankenmorde in Koblenz und Umgebung 1934 bis 1945“ beleuchtet eine der schwärzesten Seiten im sicherlich dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Initiiert hat sie der Verein Mahnmal Koblenz, der alljährlich im Umfeld des 27. Januar, des Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, mit einer besonderen Veranstaltung der NS-Opfer gedenkt – und diesmal in der Stiftung Scheuern in Nassau, einer der größten Einrichtungen der Behindertenhilfe in Rheinland-Pfalz, einen Kooperationspartner gefunden hat. In der von den Arnsteiner Patres zur Verfügung gestellten Citykirche zeigt die Stiftung Scheuern die Dokumentation zu ihrem Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewalttaten – ergänzt durch 14 eindrückliche Opfer-Biographien aus Koblenz und Umgebung, die der Verein Mahnmal erarbeitet hat.
„Diese Ausstellung beschäftigt sich mit einer ganz besonderen Kategorie von Verbrechen“, leitete der Vereinsvorsitzende Dr. Jürgen Schumacher die Ausstellungseröffnung ein. „Verbrechen, die gezielt die Schwächsten der Gesellschaft getroffen haben.“ Die Einstufung von behinderten und kranken Menschen als ,unnütze Esser‘ habe damals, in der Zeit des Nationalsozialismus, zu deren systematischer Ermordung geführt. „Eine solche Verachtung und Abwertung zeigt ein Höchstmaß an Selbstsucht und Mangel an Empathie“, beschrieb Schumacher das geistig vergiftete Klima jener Jahre, die, obwohl längst vergangen, leider nach wie vor gegenwärtig sind. „Wenn Rechtsradikale heute einen solchen Zulauf finden, wenn Kommunalpolitiker Morddrohungen erhalten und wenn das Internet vor fremdenfeindlichen Hasstiraden überquillt, dann ist es umso mehr unsere Pflicht, daran zu erinnern, wozu menschenverachtende Ideologien führen können“, mahnte Schumacher.
Sehr deutliche Worte fand auch Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern, deren Vorgänger-Einrichtung die Nationalsozialisten zur „Zwischenanstalt“ umfunktionierten. Insgesamt fast 1500 Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung deportierten sie von dort in die Tötungsanstalt Hadamar, wo sie bis zum 23. August 1941 durch Giftgas, von da an bis Kriegsende durch Medikamentenüberdosierung oder gezieltes Verhungernlassen einen qualvollen Tod fanden. „Das Vergessen ihrer Vernichtung über Jahrzehnte war lange Teil der Vernichtung selbst. Das ist heute zum Glück endlich anders“, betonte Biesgen, der die Erinnerungskultur dennoch kritisch hinterfragte: „Ist es überhaupt möglich, Erinnerung an solche Verbrechen in einer Art und Weise zu begehen, die nicht schal ist?“
Wie echtes, sinnvolles Erinnern und Gedenken gelingen kann, demonstrierte Biesgen, indem er aus zwei Zeitzeugenberichten von Menschen zitierte, die damals knapp der Deportation von Scheuern nach Hadamar entkamen. „Ich möchte so Schreckliches in meinem ganzen Leben nicht wieder erleben. Dann möchte ich noch viel lieber tot sein“, heißt es in einem von ihnen. „Neben die Scham über das von Menschenhand damals verübte Ungeheuerliche soll und darf die stellvertretende Bitte um Vergebung treten“, sagte Gerd Biesgen. „Nein, so Schreckliches soll im ganzen Leben keines Menschen wieder erlebt werden. Und ja, wir Heutigen wollen uns nach unseren Kräften dafür einsetzen, dass Schritte hin zu mehr Gerechtigkeit gegangen werden.“ Wer glaube, dass Rassismus heute keine Rolle mehr spiele, irre, mahnte Biesgen, der in diesem Zusammenhang aus dem Buch „Annas Spuren“ zitierte, in dem sich die ehemalige Lehrerin Sigrid Falkenstein mit der Lebensgeschichte ihrer ermordeten Tante auseinandersetzt. „Je leistungsorientierter die Gesellschaft ist, desto größer ist die Gefahr, dass sogenannte Randgruppen – chronisch Kranke, Behinderte, alte Menschen oder Arbeitslose – nur noch als wirtschaftliche Belastung angesehen und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden“, schreibt Sigrid Falkenstein. „Wir müssen täglich daran arbeiten, dass gerade schwache, oft am Rand der Gesellschaft stehende Menschen in die Mitte zurückgeholt werden, dass sie gleichberechtigt und selbstbestimmt leben können. Das ist unsere Pflicht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade.“
Joachim Hennig, federführend an der Organisation und Konzeption der Ausstellung beteiligter stellvertretender Vorsitzender des Vereins Mahnmal Koblenz, wiederum ging ebenso historisch fundiert wie anschaulich auf die Inhalte der Ausstellung ein. „Auf den Tag genau heute vor 75 Jahren begann Hadamar mit den Giftgasmorden“, erinnerte er und schilderte das grauenhafte Geschehen, das sich nach Ankunft der „Patienten“ in der Tötungsanstalt abspielte. Schilderte, wie die Nationalsozialisten durch die Vorspiegelung falscher Todesursachen, aber auch durch die Einrichtung von Zwischenanstalten wie eben der in Scheuern, die übrigens die einzige in Trägerschaft der Kirche war, ihre Verbrechen verschleierten. Neben den insgesamt rund 300.000 Morden an kranken, behinderten und sozial nicht angepassten Menschen thematisiert die Ausstellung aber auch die 350.000 Zwangssterilisationen von psychisch Kranken, die die Nationalsozialisten schon bald nach ihrer Machtergreifung auf der Grundlage des sogenannten Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses nicht minder systematisch betrieben. Kein Irrsinn, der aus dem Nichts entstand, wie Hennig betonte. „Die Ausstellung zeigt auf, dass die Ermordung kranker und behinderter Menschen keine ,Erfindung‘ der Nazis war, sondern dass Wissenschaftler und Praktiker schon in den 1920er-Jahren die ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘, die ,Ausmerze‘ von ,Ballastexistenzen‘ befürwortet hatten. Die Nazis griffen diese Vorstellungen auf und setzten sie in ihrer eigenen Art um – viel konsequenter, radikaler und brutaler, als man das vorher auch nur erwogen hatte“, stellte Hennig klar. Und: „Das alles hatte eine Vorgeschichte. Und diese Vorgeschichte fand nicht irgendwo statt, sondern ganz nah, hier bei uns.“
Im Detail nachzulesen ist dies alles in der Ausstellung, die noch bis Mittwoch, 3. Februar, täglich von 7.30 bis 19 Uhr (außerhalb der Gottesdienste) in der Citykirche am Koblenzer Jesuitenplatz zu sehen ist und durch Briefe in der Zwischenanstalt Scheuern lebender Menschen und ihrer Angehörigen noch mehr Plastizität erhält.
Foto oben: Vor der Tafel mit der Biografie von Alois Gaß: Sein Neffe Horst Gaß und rechts neben ihm Pfarrer Gerd Biesgen, Vorstand der Stiftung Scheuern.
Foto in der Mitte: Der Kurator des regionalen Teils der Ausstellung Joachim Hennig bei seiner Einführung in die Ausstellung
Foto unten:(von links nach rechts): die 80-jährige Lore Arnold (die heute in den Heimen Scheuern lebt, dort schon in der NS-Zeit war und als Kind damals die Krankenmorde miterlebt hat - sich aber hat verstecken können und deshalb überlebt hat), eine weitere Patientin von Scheuern, den Vorsitzenden des Fördervereins Mahnmal Koblenz Dr. Jürgen Schumacher, den Vorstand der Stiftung Scheuern Pfarrer Gerd Biesgen und den Kurator des regionalen Teils der Ausstellung Joachim Hennig).
Lesen Sie auch Berichte über die Ausstellungseröffnung
HIER in der Rhein-Lahn-Zeitung vom 19. Januar 2016
und in Blick aktuell – Ausgabe Koblenz – Nr. 03/2016 vom 21. Januar 2016.
Einführung in die Ausstellung : „Vergiss mich nicht und komm...“
Zum Gedenken an die Opfer der Zwangssterilisationen und NS-Krankenmorde in Koblenz und Umgebung 1934 - 1945
am 13. Januar 2016 in der Citykirche in Koblenz, von Joachim Hennig
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie sehr herzlich und möchte Sie einführen in die Ausstellung: „Vergiss mich nicht und komm...’ – Zum Gedenken an die Opfer der Zwangssterilisationen und NS- Krankenmorde in Koblenz und Umgebung 1934 – 1945“.
In zwei Wochen, am 27. Januar, jährt sich zum 71. Mal die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Speziell an diesem Tag gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus. Was damals während des Nationalsozialismus in den Konzentrationslagern von Auschwitz und anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern geschah, wissen wir alle in groben Zügen. Es waren Verbrechen der Nazis und ihrer vielen, viel zu vielen Helfern - vor allem „im Osten“, im damals so genannten Generalgouvernement, im heutigen Osten der Republik Polen. Das war und ist für uns Heutige weit weg.
Die Verbrechen der Nazis waren uns aber näher als wir oft denken, näher als dem einen oder anderen lieb ist. Auschwitz und die anderen Vernichtungslager im Osten hatten eine Vorgeschichte. Und diese Vorgeschichte fand nicht irgendwo statt, sondern ganz nah, hier bei uns.
Auf den heutigen Tag vor 75 Jahren begann die Landesheilanstalt Hadamar bei Limburg an der Lahn mit der Ermordung von Patienten durch Giftgas. Die Tötungen liefen nach einem gleich bleibenden Schema ab. Mit maximal drei grauen Bussen der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“ (GEKRAT) wurden die Patienten aus anderen Heil- und Pflegeanstalten abgeholt. In Hadamar fuhren sie in eine hölzerne Busgarage, die man eigens für diesen Zweck im Innenhof der Anstalt errichtet hatte. Dann wurden die Tore geschlossen und die Patienten durften die Busse verlassen. Durch einen Schleusengang gelangten sie in das Hauptgebäude. Dort täuschte man einen normalen Anstaltsbetrieb vor. Im Bettensaal mussten sie sich ausziehen und warten. Ihre Identität wurde geprüft und anhand der mitgeschickten Krankenakte suchte der Anstaltsarzt eine fingierte Todesursache für sie aus. „Interessante“ Patienten – mit Goldzähnen oder einem ungewöhnlichen Krankheitsbild – wurden markiert. Dann machte man drei Fotos von ihnen und führte sie in den Keller. Dort nahmen sie so genannte Brenner in Empfang und führten die Patienten eines Busses – das waren etwa 30 Personen - in einen als Dusche getarnten Raum. Die Duschköpfe dort waren aber nur Attrappe. Tatsächlich strömte aus den Öffnungen an der Decke Kohlenmonoxydgas in den Raum ein; das hatte ein Arzt nach Schließen der Eingangstür freigegeben. Nach dem oft sehr qualvollen Tod zerrten die „Brenner“ die Leichen aus der Gaskammer, brachen den markierten Toten die Goldzähne heraus und entnahmen den „wissenschaftlich interessanten Fällen“ ihre Gehirne. Sodann schleppte man sie zu den beiden Krematoriumsöfen und verbrannte die Leichen. Im Regelfall verging kein ganzer Tag zwischen der Ankunft der Patienten in Hadamar und deren Ermordung und anschließenden Verbrennung der Leichen.
Die Krankenmorde, die außer in Hadamar noch in fünf anderen Tötungsanstalten stattfanden und denen bis zum 23. August 1941 in Hadamar mehr als 10.000 und insgesamt mehr als 70.000 Menschen zum Opfer fielen, waren sogar nach dem Selbstverständnis der Nationalsozialisten nicht legal. Sie wurden getarnt und es wurde versucht, sie geheim zu halten. Dazu bediente man sich mehrerer Organisationen wie der erwähnten „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“ und der Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin – daher auch die Bezeichnung „T4-Aktion“. Zur Verschleierung gehörten auch die Benachrichtigungen der Angehörigen über den angeblich „unerwarteten plötzlichen Heimgang“. Diese „Trostbriefe“ waren insgesamt gelogen, nicht einmal das Todesdatum stimmte, auch nicht die Todesursache und oft nicht einmal der Sterbeort.
Zur Verschleierung der T4-Aktion gehörte die Einbindung so genannter Zwischenanstalten in die Krankenmorde. Solche Anstalten im heutigen nördlichen Rheinland-Pfalz gab in Andernach und in Scheuern bei Nassau an der Lahn. Diese Einrichtungen, die es ja noch heute gibt, waren vor der NS-Zeit als Heil- und Pflegeanstalten gegründet und dann jahrelang auch so betrieben worden. Im Rahmen der T4-Aktion erhielten sie eine weitere, neue Aufgabe: Sie waren „Sammelstelle“ für die zur Ermordung vorgesehenen Patienten. Zunächst wurden die ausgesuchten Patienten der beiden Anstalten (sog. Ursprungskranke) mit den grauen Bussen nach Hadamar transportiert und dort umgebracht. Die dadurch entstehenden leeren Plätze füllte man mit Patienten aus anderen Anstalten wieder auf. Das waren die sog. Zwischenpatienten. Diese „neuen“ Kranken kamen dann auch nach Hadamar und ins Giftgas. Durch die Beteiligung der Zwischenanstalten Andernach und Scheuern wurde zum einen die Verlegung der Patienten von der bisherigen Heil- und Pflegeanstalt in die Tötungsanstalt verschleiert. Zum anderen wurde der Transport in die Tötungsanstalt organisiert – so dass gewährleistet war, dass die in Hadamar ankommenden Patienten auch tatsächlich am selben Tag dort umgebracht werden konnten.
Mithin hatten die Zwischenanstalten eine wichtige Funktion bei der Ermordung der Patienten im Rahmen der T4-Aktion. Deshalb präsentiert der Förderverein Mahnmal Koblenz in Kooperation mit der Stiftung Scheuern deren Ausstellung über die Krankenmorde: „Vergiss mich nicht und komm….“ Dabei weist die Anstalt Scheuern noch eine Besonderheit auf: Sie ist die einzige Zwischenanstalt in Trägerschaft der evangelischen Kirche, ja überhaupt in der Trägerschaft einer Kirche. Alle anderen Zwischenanstalten, wie auch Andernach, waren staatliche Einrichtungen.
Die Ausstellung „Vergiss mich nicht und komm….“ beschränkt sich nicht auf die Darstellung der Morde in der T4-Aktion. Sie dokumentiert auch die Vorgeschichte und auch die Nachgeschichte der T4-Aktion. Sie zeigt auf, dass die Ermordung kranker und behinderter Menschen keine „Erfindung“ der Nazis war, sondern dass Wissenschaftler und Praktiker schon in den 1920er Jahren die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, die „Ausmerze“ von „Ballastexistenzen“ befürwortet hatten.
Die Nazis griffen diese Vorstellungen auf und setzten sie in der ihnen eigenen Art – viel konsequenter, radikaler und brutaler um, als macht man das vorher auch nur erwogen hatte. Das passte sehr gut in ihr Weltbild von den verschiedenen Rassen, der „arischen Rasse“, den „Herrenmenschen“ einerseits und den fremden und minderwertigen Rassen andererseits. Das war – zynisch gesprochen – die Ergänzung zum Rassismus. Da war zum einen der Rassismus, der die Diskriminierung, Verfolgung und Ermordung fremder „Rassen“ forderte und umsetzte: der Rassismus „nach außen“ – gegenüber den Juden, den sog. Zigeunern u.a. Diesen Rassismus ergänzten dann die Nazis durch den Rassismus „nach innen“. Damit sollte die „arische Rasse“ „veredelt“, „aufgenordet“ werden. Es war „Hygiene der eigenen Rasse“, „Ausmerze“ alles psychisch Kranken, Behinderten, sozial nicht Angepassten – „Rassenhygiene“.
Ein Markstein auf dem Weg zu den Krankenmorden durch Giftgas, gleichsam ihre Vorgeschichte, waren die Zwangssterilisationen von psychisch Kranken durch das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ - schon bald nach der Machtübernahme der Nazis erlassen, nämlich am 14. Juli 1933. Heute geht man von ca. 350.000 zwangsweise Sterilisierten aus. Zur Nachgeschichte der T4-Aktion, die ebenfalls in der Ausstellung der Stiftung Scheuern dokumentiert wird, gehört, dass mit dem 23. August 1941 die Krankenmorde mit Giftgas offiziell zwar eingestellt wurden, aber ein Jahr später die Morde fortgesetzt wurden. Das geschah nicht mehr durch Giftgas und nicht mehr zentral von der Tiergartenstraße 4 in Berlin aus, sondern dezentral u.a. in Hadamar und mit Überdosen von Medikamenten, verhungern lassen u.ä. Diese dezentralen Krankenmorde hörten erst mit der Befreiung im März 1945 auf. Man schätzt ihre Zahl insgesamt auf ca. 300.000.
Es sind also drei Personengruppen bzw. drei Situationen, in denen psychisch Kranke und sozial nicht angepasste Menschen zu NS-Opfern der Juristen und Mediziner wurden: erstens sind es die aufgrund des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangsweise Sterilisierten, zweitens die im Rahmen der T4-Aktion mit Giftgas ermordeten Kranken und drittens die im Rahmen der dezentralen Aktion getöteten Kranken und sozial nicht Angepassten.
Ansatzweise erfahrbar werden diese Verbrechen und das Leiden, die Erniedrigung und der Tod dieser Menschen am Beispiel von Biografien der Opfer, gerade auch solcher Opfer, die in unserer Nähe gelebt haben. Deshalb zeigt der Förderverein Mahnmal Koblenz zu dieser Ausstellung der Stiftung Scheuern einen regionalen Teil – mit selbst erarbeiteten Biografien von Opfern aus Koblenz und Umgebung.
Präsentiert werden insgesamt 14 Schicksale:
I. Das sind zunächst vier Biografien von zwangsweise Sterilisierten:
1. von Magdalena M., einer jungen Frau aus Koblenz-Metternich. Sie hatte sich von Anfang an gegen ihre Zwangssterilisation gewehrt. Sie fand aber kein Gehör, nicht bei den Ärzten, nicht beim Erbgesundheitsgericht Koblenz und auch nicht beim Erbgesundheitsobergericht in Köln. Sie wurde im städtischen Krankenhaus Kemperhof unfruchtbar gemacht.
2. von Maria K., einer jungen Frau aus dem Kreis Ahrweiler. Sie hatte zunächst noch Glück, als ihr Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht Koblenz zur Lebensbewährung ausgesetzt wurde. Als sie einer Pflichtarbeit dann aber nicht weiter nachkam, beschloss das Erbgesundheitsgericht Koblenz ihre Unfruchtbarmachung. Wegen ihrer Schwangerschaft konnte sie aber nicht gleich sterilisiert werden. Sie kam zunächst ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, dort wurde die Leibesfrucht abgetrieben. Anschließend brachte man sie aus dem KZ nach Koblenz zur Zwangssterilisation und dann zurück ins KZ Ravensbrück.
3. von Heinrich R., einem Mann aus Koblenz, der dunkelhäutig geboren wurde. Als ihm deswegen die Eheschließung mit seiner „arischen“ Braut versagt wurde, entschloss er sich zu seiner Sterilisation. Auch danach wurde ihm die Heirat verboten. Er bemühte sich immer wieder um die Eheschließung, sie wurde ihm aber als „Negermischling“ bis zuletzt nicht erlaubt.
4. von C.M.B, einem 15-jährigen Mädchen, das nach dem I. Weltkrieg aus der Verbindung einer deutschen Frau mit einem farbigen amerikanischen Besatzungssoldaten hervorgegangen war. Seine Mutter wurde solange bedrängt, bis sie in die Sterilisation der Tochter einwilligte und diese dann unfruchtbar gemacht wurde.
II. Des Weiteren dokumentiert der regionale Teil der Ausstellung das Schicksal dreier Menschen, die den Giftgasmorden der T 4-Aktion zum Opfer fielen. Es sind dies zwei Jungen und ein junger Mann, die in Hadamar ermordet wurden:
1. der 17-jährige Alois Gaß. Er wuchs bei seinen Eltern in Koblenz auf, kam dann aber schon vor der T4-Aktion in die Anstalt Scheuern. Von dort wurde er in die Tötungsanstalt Hadamar transportiert und ermordet.
2. Gerhard (Gerd) W. aus Bendorf. Wegen der bei ihm festgestellten Schizophrenie wurde er – trotz seiner massiven Gegenwehr – zwangsweise sterilisiert. Auch danach ließ man ihn in der Anstalt Andernach nicht in Ruhe, sondern meldete ihn für die T4-Aktion. Daraufhin wurde er in die Tötungsanstalt Hadamar gebracht und mit Giftgas ermordet.
3. Edmund Zimmer. Auch er war ein junger Mann aus Koblenz. Erst war er in einer Bonner Anstalt und kam dann als „Zwischenpatient“ nach Andernach. Seine Angehörigen, die sich sehr für ihn engagierten, konnten nicht verhindern, dass er einen Monat später nach Hadamar verschleppt und mit Giftgas ermordet wurde.
III. Schließlich zeigen wir aus der dezentralen Phase der NS-„Euthanasie“ sieben Schicksale, und zwar:
1. Elisabeth M., eine junge Frau aus Mülheim-Kärlich. Sie fiel den behandelnden Ärzten wegen ihrer psychischen Probleme auf. Daraufhin verfügte das Erbgesundheitsgericht Koblenz ihre zwangsweise Sterilisation wegen Schizophrenie. Sie lebte einige Jahre unauffällig. Nach dem Tod ihres Bruders als Soldat an der Ostfront erhielt sie einen neuen Schub, kam wieder in die Anstalt Andernach, von dort nach Hadamar. Innerhalb weniger Tage war sie tot.
2. Felix K. Er kam als Sohn eines Ingenieurs in Koblenz zur Welt. Als Soldat im I. Weltkrieg oder bald danach erkrankte an Schizophrenie. Immer wieder wurde er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen, als gebessert entlassen und wieder eingewiesen. Im Juli 1941 wurde er in die Anstalt Scheuern verlegt. Ein halbes Jahr später transportierte man ihn nach Hadamar. Am Tag seiner Ankunft dort wird er umgebracht. Angeblich starb er an Grippe.
3. Selma Grünewald. Sie war eine jüdische Frau mittleren Alters aus Kobern-Gondorf. Ihre Familie und sie persönlich standen jahrelang unter Beobachtung der Ortspolizei. Zuletzt wollte man ihr einen Umgang mit „arischen“ Männern anhängen. Das mag der Grund gewesen sein, dass ins Frauen-KZ Ravensbrück verschleppt wurde. Dort kam sie in die „Sonderaktion“ in den Konzentrationslagern, die man die Aktion „14f13“ nennt. Als Jüdin wurde sie höchstwahrscheinlich selektiert, in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale verschleppt und dort mit Giftgas ermordet.
4. Der in Koblenz geborene Karl Heinrich Spiegel hatte eine doppelte Behinderung. Er litt unter epileptischen Anfällen und unter Knochenerweichung. Schon 1934 wurde er aufgrund eines Beschlusses des Erbgesundheitsgerichts zwangsweise sterilisiert. Einige Jahre später erlitt er erneut zwei epileptische Anfälle. Beide Male wurde er in Hadamar aufgenommen. Nach dem ersten Aufenthalt erreichte sein Bruder seine baldige Entlassung. Der zweite Aufenthalt währte nur drei Wochen. Dann wurde er ermordet.
5. Willy und Horst Strauß aus Bad Ems waren Kinder eines Juden und einer Nicht-Jüdin. Weil ihr Vater im Konzentrationslager war und die Mutter für den Unterhalt der Familie sorgen musste und ihnen viel Freiraum ließ, kamen beide in Fürsorgeerziehung. Aufgrund einer „Sonderaktion“ brachte man sie als „jüdische Mischlinge“ nach Hadamar. Drei Monate später starben sie - innerhalb von zwei Tagen.
6. und 7. Um zu zeigen, dass diesen Morden auch Menschen anderer Staatsangehörigkeit zum Opfer fielen, dokumentieren wir schließlich das Schicksal zweier Zwangsarbeiter: das des litauischen Zwangsarbeiters Josef J. und das der ukrainischen Zwangsarbeiterin Anna K. Beide wurden aus ihrer Heimat zur Zwangsarbeit verschleppt. Josef J. musste in den Tunnelanlagen von Dernau/Marienthal an der Ahr für Rüstungsbetriebe arbeiten, Anna K. bei einer Drahtzieherei in Bad Hönningen. An ihren Arbeitsplätzen fielen sie wegen Arbeitsunlust auf. Wenn man sich mit ihnen auch nicht verständigen konnte, so nahm man bei ihnen aufgrund ihres Verhaltens eine Geisteskrankheit an. Ihr Schicksal war dann schnell besiegelt: Sie wurden in die Anstalt Andernach eingewiesen. Als sich keine Besserung ergab, wurden sie nach Hadamar „verlegt“. Wenige Tage später waren sie tot – angeblich gestorben an Grippe bzw. Herzschwäche – tatsächlich aber höchstwahrscheinlich mit einer Überdosis Medikamenten ermordet.
All dieser Menschen wollen wir jetzt und beim internationalen Gedenktag am 27. Januar stellvertretend für die viele Millionen Menschen gedenken, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Wir wollen den Stummen eine Stimme geben, wie es im Alten Testament heißt: „Tue deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind!“ (Sprüche Salomon, Kap. 31, Vers 8).
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Als Begleitveranstaltung bot unser Förderverein eine Fahrt zur Gedenkstätte Hadamar bei Limburg/Lahn mit Führung am Samstag, 23. Januar 2016 an.
Gedenkveranstaltungen am 27. Januar 2016.
Die Gedenkveranstaltungen am 27. Januar 2016 begannen mit einer Statio am Mahnmal für die NS-Opfer aus Koblenz auf dem Reichensperger Platz. Auch hier stand die Verfolgungsgeschichte der Menschen, die Opfer der NS-Zwangssterilisationen und NS-„Euthanasie“-Morde waren, im Mittelpunkt. Während Oberbürgermeister Prof. Hofmann-Göttig die Namen verlas, brachten Schülerinnen und Schüler der Diesterweg-Schule und der Hans-Zulliger-Schule von unserem Förderverein erarbeitete Biografien dieser ehemaligen Mitbürger an dem Mahnmal an.
Anschließend, gegen 18.00 Uhr, fand dann die Gedenkstunde mit christlich-jüdischem Gebet in der Liebfrauenkirche statt.
Lesen Sie auch die Berichterstattung zu den Gedenkveranstaltungen:
HIER den Artikel in der Rhein-Zeitung vom 28. Januar 2016
und HIER den Bericht in Blick aktuell – Ausgabe Koblenz – vom 4. Februar 2016.
In seinem Mittagsmagazin brachte SWR 4 – Studio Koblenz – einen Bericht zu diesem Gedenken. Darin kam der Neffe des in Hadamar mit Giftgas ermordeten Alois Gaß zu Wort.
Update 28.02.2016 Video bei YouTube
https://www.youtube.com/watch?v=Jd4gU4PHzm4
Koblenzer Kultur-Kreis - K3 -
Für viele ist die "Vernetzung" das A und O, um heute in der weltweiten Informationsgesellschaft angemessen wahrgenommen zu werden. Dies haben auch fünf Vereine in Koblenz erkannt und sich deshalb zur Initiative "Koblenzer Kultur-Kreis - K3" zusammengefunden. Wir vom Förderverein Mahnmal Koblenz sind mit dabei. Die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative hat jetzt mit der ersten Ausgabe der “Mitteilungen Koblenzer Kultur- und Geschichtsvereine” begonnen.
Mit diesen Mitteilungen, die künftig zweimal pro Jahr in Form eines elektronischen Schreibens erscheinen werden, möchte die Initiative digital und im Internet präsent sein. Damit wollen wir Mitglieder der beteiligten Vereine, interessierte Bürgerinnen und Bürger in und um Koblenz und auch weit darüber hinaus über Inhalte unserer Vereinsarbeit und über unsere Aktivitäten informieren und einladen, daran - in welcher Form auch immer - teilzunehmen.
Der Initiative gehören derzeit außer unserem Förderverein die Christlich-Jüdische Gesellschaft für Brüderlichkeit e.V., der Freundschaftskreis Koblenz- Petah Tikva e.V., der Rhein-Museum e.V. und der Verein für Geschichte und Kunst des Mittelrheins zu Koblenz e.V. an. Die Initiative ist offen für den Beitritt weiterer Vereine aus den Bereichen Kunst, Kultur und/oder Geschichte.
Den Infobrief HIER downloaden
Gedenken an die Deportation der Koblenzer Sinti am 10. März 1943 in das „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau.
Sinti und andere Koblenzer gedachten an die Deportation am 10. März 1943 von 149 Sinti aus Koblenz und Umgebung in das „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau. Zur Erinnerung legten sie einen Kranz am Mahnmal für die Koblenzer Sinti am Peter Altmeier-Ufer nieder und würdigten die Opfer mit emotionalen Worten und musikalischen Klängen.
Lesen Sie die Berichterstattung dazu:
und HIER in Blick aktuell – Ausgabe Koblenz – Nr. 1172016 vom 17. März 2016.
Lesen Sie auch den nachfolgenden Bericht unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig über die Deportation von Sinti aus Koblenz und Umgebung am 10. März 1943 in das „Zigeunerlager“ von Auschwitz-Birkenau:
Erinnerung an die Deportation von Koblenzer und auch Trierer Sinti am 10. März 1943.
Am 10. März 2016 gedachten Koblenzer Sinti und Nicht-Sinti an die Deportation von 149 Koblenzer und Trierer Sinti in das sog. Zigeunerlager des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Hierüber berichtete die Heimat-Zeitung "Blick aktuell" - Ausgabe Koblenz - Nr. 11 vom 17. März 2016 (HIER lesen)
An diese Verfolgung der Koblenzer Sinti und deren Vorgeschichte erinnert auch die nachfolgende Ansprache unseres stellvertretenden Vorsitzenden Joachim Hennig:
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde,
wir gedenken heute zum ersten Mal am 10. März offiziell der Deportation von 149 Sinti aus Koblenz und Umgebung in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Über dieses Geschehen gibt eine kleine Notiz in den Akten des Polizeipräsidiums Koblenz. Diese lautet:
Staatliche Kriminalpolizei
Kriminalpolizeistelle Koblenz
1. K. (wohl: Kommissariat) Zig. (also: Zigeuner)
Koblenz, den 10. März 1943
Vermerk
Gemäß VI 7 des Erlasses vom 29. Januar 1943 ist das KZ-Lager von dem Eintreffen jedes Transportes mit Fernschreiben in Kenntnis zu setzen.
Verfügung
1. Fernschreiben an die Kommandantur des Konzentrationslagers Auschwitz
Von Kriminalpolizeistelle Koblenz trifft am 11. März 1943 16.44 Uhr ein Transport Zigeuner von 149 Personen dort ein. 40 Männer, 44 Frauen, 65 Kinder.
Kriminalpolizeistelle Koblenz
In Vertretung
(Unterschrift)
Kriminalrat
Verfügung
2. Schreiben an die Geheime Staatspolizei
Staatspolizeistelle (Fernschreibstelle) in Koblenz
mit der Bitte um Weiterleitung.
Das war die Schreibtischarbeit hier in Koblenz, um damals 149 Mitbürger von Koblenz und Umgebung in die vollständige Erniedrigung und in den Tod zu schicken: Menschen, die hier sesshaft waren, die hier wohnten, die hier arbeiteten, die hier zur Schule gingen, die hier glücklich waren oder es unter den schlimmen Verhältnissen des Nationalsozialismus versuchten zu sein. Menschen wie du und ich – wie man so schön sagt. Sie waren Menschen wie du und ich – und waren doch anders. Sie waren – um das oft zum Schimpfwort gewordene Wort zu gebrauchen – Zigeuner. Die Bibel lehrt uns: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das ist ein sehr hehres, großartiges Ziel. Nur: Wer kann das schon? Muss das – so frage ich – wenn wir auch in einem christlich geprägten Land leben aber auch sein? Reicht es nicht, wenn wir den anderen in seinem Anderssein akzeptieren und schätzen, ihn als eine Bereicherung sehen und miteinander so umgehen? Natürlich müssen auch dabei gewisse Spielregeln anerkannt werden.
Von diesen Gedanken war man meilenweit entfernt, als man am 10. März 1943 die 149 Sinti aus Koblenz und Umgebung ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppte. Wie konnte es dazu kommen?
Verantwortlich dafür waren natürlich die Nazis mit ihrer menschenverachtenden Rassenideologie. Aber die Nazis waren nicht die Urheber und „Erfinder“ dieser Ideologie – sie waren es „lediglich“, die diese radikalisierten und mit ihr zig und zig Tausende von Verbrechen begangen.
Die Anfänge dieser Verbrechen liegen weit zurück. Es ist heute nicht der Anlass und die Zeit, um diese Geschichte hier zu erzählen. Das kann ein anderes Mal geschehen. Mir geht es heute nur darum, klarzumachen, dass Auschwitz nicht aus dem Nichts entstanden ist. Dies hat der Landtagspräsident Joachim Mertes am 27. Januar 2007 in der Sondersitzung des Landtages am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus sehr eindrücklich herausgestellt.
Viele von Ihnen kennen Djangos Vater, Daweli Reinhardt, und auch das Buch, das Daweli und ich zusammen gemacht haben: „Hundert Jahre Musik der Reinhardts – Daweli erzählt sein Leben.“ Dieses Buch erzählt die Geschichte von unten. Von den sog. kleinen Leuten und den Opfern des Nationalsozialismus. Lassen Sie mich hier in aller Kürze das Gegenstück zu Dawelis Geschichte liefern: die Geschichte der Herrschenden, der Unterdrücker und Verbrecher, die den deutschen Zigeunern – den Sinti – Unterdrückung, Ausgrenzung, Kriminalisierung, Mord und Totschlag in den letzten gut einhundert Jahren gebracht haben.Am 17. Februar 1906 erging die preußische „Anweisung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“. Damit sollten alle „ausländischen Zigeuner“ am Grenzübertritt nach Preußen gehindert werden. „Ausländische Zigeuner“ waren die, die nicht zweifelsfrei die deutsche Reichsangehörigkeit nachweisen konnten. Im Übrigen sollten die Sinti und Roma bei ihrem Umherziehen dauernd von der jeweiligen Gemeindepolizei beobachtet und bewacht werden. Angestrebt war ein die Gemeindegrenzen übergreifendes, lückenloses Überwachungs- netz. Auch sollten die großen Zigeunerfamilien zerschlagen und aufgelöst werden. Verboten war deshalb ein „bandenweises Umherziehen“. Außerdem sollten „verwahrloste Zigeunerkinder“ in Fürsorgeerziehung überwiesen werden. Bei der Ausstellung von Personalpapieren und Wandergewerbescheinen sollte – wie es hieß – „besondere Zurückhaltung“ geübt und die Erlaubnis zu Schaustellungen möglichst untersagt werden. Im Anhang zu dieser Anweisung gab es noch eine Liste mit Strafbestimmungen, die „besonders gut gegen Zigeuner“ anwendbar sein sollten. Durch diesen Erlass war es den Sinti und Roma kaum mehr möglich, ihre fahrende Lebensweise aufrechtzuerhalten, ohne in irgendeiner Form gegen diese Bestimmungen zu verstoßen.
In Ausführung dieser Anweisung machten die Regierungspräsidenten – auch der Regierungspräsident in Koblenz – den Landräten und Oberbürgermeistern die „genaue Befolgung der Anweisung zur besonderen Pflicht“. Die Bevölkerung wurde angehalten, beim „Auftreten von Zigeunern sofort Anzeige“ zu erstatten. Über jeden einzelnen Fall auftretender „Zigeunerhorden“ sollte dem Regierungspräsidenten umfassend anhand eines detaillierten Meldeformulars berichtet werden.
Im Jahr 1920 verbot ein Erlass des Ministers für Volkswohlfahrt den Aufenthalt von Zigeunerinnen und Zigeunern in Heilbädern, Kurorten und Erholungsstätten.
Im Jahr 1927 verlangte der Minister für Landwirtschaft – angeblich zur Verhütung von Seuchen –, dem „Umherziehen der Zigeuner … ohne eine besondere Seuchengefahr mit allen Mitteln“ entgegenzutreten.
Noch im selben Jahr ordnete der preußische Innenminister die Ausgabe von „Bescheinigungen“ als Sonderausweise für Sinti und Roma an. Gleichzeitig sollten alle nicht sesshaften Sinti und Roma ab dem 6. Lebensjahr fotografisch und mit den Fingerabdrücken erfasst werden. Noch im selben Monat führte die Polizei in ganz Preußen eine Razzia auf „Zigeuner und nach Zigeuner Art Umherziehende“ durch, um sie zu erfassen und Sonderausweise auszustellen.
Am 30. Januar 1933 kam es dann zu der so genannten Machtergreifung der Nationalsozialisten. Sehr bald begannen die Behörden vor Ort, die ohnehin harten Bestimmungen gegen die Sinti und Roma noch zu verschärfen.
Noch im selben Jahr erging das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Das war die Grundlage für die Zwangssterilisation so genannter Erbkranker. Obwohl sie im Gesetzestext nicht eigens erwähnt wurden, wurden zum Teil auch „Zigeuner“ nach diesem Gesetz zwangssterilisiert.
Im September 1933 wurde von SA und SS eine landesweite Razzia zur so genannten Bettlerwoche durchgeführt. Dabei wurden auch zahlreiche Sinti und Roma verhaftet und in Arbeitshäuser und auch in Konzentrationslager interniert.Am 19. September 1935 ergingen die so genannten Nürnberger Gesetze. Das war einmal das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Danach waren Ehen oder Geschlechtsverkehr zwischen Staatsangehörigen „deutschen oder artverwandten Blutes“ und Juden und auch „Zigeunern“ verboten und unter Strafe gestellt. Nach dem ebenfalls erlassenen „Reichsbürgergesetz“ konnte nur „Reichsbürger“ sein, wer „Staatsangehöriger deutschen oder artverwandten Blutes“ war. Sinti und Roma konnten danach nicht „Reichsbürger“ sein. Mit der 12. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ von 1942 wurden die meisten von ihnen zu Staatenlosen erklärt.
Im Frühjahr 1936 wurde die „Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle beim Reichsgesundheitsamt“ unter Leitung von Dr. Robert Ritter gegründet. Diese Stelle hatte die Aufgabe, sämtliche im Deutschen Reich lebenden Sinti und Roma aufzuspüren und nach rassischen Kriterien in „Zigeuner“, „Zigeunermischlinge“ und „Nichtzigeuner“ zu selektieren.
Noch im selben Jahr erging der Runderlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“. Darin wurden die Behörden angehalten, mit allen gesetzlichen und polizeilichen Mitteln gegen Zigeuner vorzugehen und keine Wandergewerbescheine mehr auszustellen. Verwahrloste Kinder sollten der Fürsorgeerziehung übergeben werden. Darüber hinaus war die „zwangsweise Sesshaftmachung an einem bestimmten Ort“ sowie die ständige Überwachung und Erfassung vorgesehen.
Im Dezember 1937 erging der Erlass des Reichsführers- SS Himmler zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“. Mit diesem Erlass konnte jeder, der „durch sein asoziales verhalten die Allgemeinheit gefährdet“ in „polizeiliche Vorbeugehaft“, also ins Konzentrationslager gebracht werden.
Im Juni 1938 veranstaltete Himmler die reichsweite „Aktion Arbeitsscheu Reich“. Danach sollte jede Kriminalpolizeileitstelle aus ihrem Bezirk mindestens 200 „arbeitsfähige männliche Personen“ ins KZ einweisen. Verhaftet wurden danach auch Sinti, „wenn sie keinen Willen zur geregelten Arbeit gezeigt haben oder straffällig geworden sind“.
Im August 1938 gab es dann den „Zigeunerschub“ von der Westgrenze“. Der Oberpräsident der Rheinprovinz ordnete einen allgemeinen „Fahndungstag für Zigeuner“ an. Zigeuner im linksrheinischen Gebiet sollten festgenommen und nach Mitteldeutschland verschleppt werden. Von dieser Aktion waren auch Koblenzer betroffen. Das waren 11 Schausteller und ihre Familien sowie 16 Sinti und ihre Familien. Unter ihnen war auch Dawelis Familie und Daweli selbst – als sechsjähriges Kind. Diese Aktion wurde aber schon nach einigen Tagen wieder abgebrochen, weil sie unkoordiniert war. Die Sinti und Schausteller kehrten daraufhin nach Koblenz zurück.
Ende 1938 erließ der Reichsführer-SS Himmler einen neuen Erlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“. Danach sollte „die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff (genommen werden)“. Alle Zigeuner, die das 6. Lebensjahr vollendet hatten, waren erkennungsdienstlich zu behandeln und nach „rassenbiologischen“ Gesichts-punkten in „Zigeuner“, „Zigeunermischlinge“ und „nach Zigeuner Art umherziehende Personen“ zu selektieren. Mit dieser Aufgabe wurde die „Reichsstelle Ritter“ beauftragt.
Nach den Ausführungsbestimmungen waren die Sinti und Roma ständig zu kontrollieren und der Kriminalpolizeistelle zu melden. Es wurden spezielle Bearbeiter für Zigeunerfragen abgestellt. Bald wurden entsprechend der jeweiligen „rassischen Einstufung“ neue „Zigeunerausweise“ ausgegeben: Für „rassereine Zigeuner“ braune, für „Zigeunermischlinge“ braune mit einem hellblauen Querstreifen und für „nach Zigeuner Art Umherziehende“ graue Ausweise.
Am 17. Oktober 1939 erging dann der so genannte Festsetzungserlass. Darin wurde angekündigt, dass die „Zigeunerfrage binnen kurzem im gesamten Reichsgebiet“ geregelt werde. Es wurde angeordnet, dass alle „Zigeuner und Zigeunermischlinge bis auf weiteres ihren Wohnsitz oder jetzigen Aufenthaltsort nicht zu verlassen“ haben. Bei Zuwiderhandlung drohte die Einweisung in ein Konzentrationslager.
1940 kam es dann zur so genannten Mai-Deportation. In der Zeit vom 16. bis 21. Mai 1940 wurden 2.800 west- und norddeutsche Sinti und Roma in das von Deutschland besetzte Polen, das „Generalgouvernement“ verschleppt. Von ihrem Eigentum durften sie nur „Handgepäck“ mitnehmen. In den Sammellagern wurden sie nummeriert und die Ziffern in die Ausweispapiere und auf die Haut gestempelt. Von den Koblenzer Sinti wurden am 17. Mai 1940 knapp 80 zuerst in das Sammellager auf dem Kölner Messegelände und dann von dort aus in das Generalgouvernement deportiert.
Mitte 1942 wurden jugendliche „Zigeuner und Zigeunermischlinge“ aus der Hitler-Jugend entlassen. Auch durften diese aus „rassenpolitischen Gründen“ nicht – auch nicht als Freiwillige – in den aktiven Wehrdienst aufgenommen werden.
Am 16. Dezember 1942 schließlich erging der so genannte Auschwitz-Erlass des Reichsführers-SS Himmler.
Sammellager „Messe Köln“ im Mai 1940 (Quelle Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma)